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von Kai Kupferschmidt [1,2]

Es ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen, doch in der Natur findet sie sich selten, künstlich ist sie nur schwer herzustellen. Umso eifriger arbeiten Wissenschaftler an neuen blauen Pigmenten.

Teil 1: Wie können wir wirklich sicher sein, wo die Farbe Blau Ihren Ursprung hat? Betrachtet man die Geschichte, war es durchwegs ein mühsamer Prozess in den Laboren – oder ein Zufallstreffer.

Reiner Zufall

Seine berühmteste Entdeckung fiel aus heiterem Himmel. Als Festkörperchemiker beim Chemiekonzern Dupont verantwortete Mas Subramanian Hunderte Publikationen und Dutzende Patente. Er hatte einen neuen Supraleiter entdeckt und einen umweltfreundlicheren Weg zur Herstellung der Chemikalie Fluorbenzol gefunden. Nach seinem Wechsel 2006 an die Oregon State University arbeitete er an einem sogenannten Multiferroikum, einem Material mit besonderen elektrischen und magnetischen Eigenschaften, die schnellere Computer ermöglichen sollen. Nach einer Idee von Subramanian mischte deshalb eines Tages der Doktorand Andrew Smith Indiumoxid, Manganoxid und Yttrim-oxid und erhitzte die Mischung im Ofen. Die erhofften Eigenschaften zeigten sich nicht, aber: Es war sehr blau.

Subramanian vermutete zuerst, dass Smith wohl einen Fehler gemacht hatte. Dann erinnerte er sich, dass ihm jemand bei Dupont mal gesagt hatte, wie schwer es sei, ein Blau herzustellen. Tatsächlich ist es so schwierig, dass die neue Farbe richtig Aufsehen erregte. So rief die New York Times an, nachdem sein Artikel über YInMn-Blau, wie er es nannte, im Journal of the American Chemical Society erschienen war. Der Kunsthistoriker Simon Schama bezeichnete das Pigment als „das bisher blaueste Blau“, die australische Shepherd Color Company vermarktete es als Künstlerfarbe, der Chiphersteller AMD setzte es ein, um das Gehäuse von Grafikprozessoren zu färben.
 

Die BASF gab mehr Geld für die Synthese von Indigo aus, als es diese Tage wert war.

Bereits vor 100.000 Jahren stellten die Menschen Pigmente aus rotem und gelbem Ocker sowie Holzkohle her, aber ein Blau hatten sie nicht. Die Babylonier und Ägypter verwendeten blaues Lapislazuli. Aber der mühsame Prozess, der erforderlich ist, um den Halbedelstein in das Pigment Ultramarin umzuwandeln, wurde erst im 6. Jahrhundert v. Chr. entwickelt. Angesichts dieses Mangels an natürlichem Blau versuchten die Menschen schon früh, die Farbe selbst herzustellen. Jüngste Funde aus einer Grabstätte in der Türkei lassen vermuten, dass das blaue Mineral Azurit vor 9000 Jahren zu einem feinen Pulver zermahlen wurde, vielleicht für kosmetische Zwecke. Die Ägypter mischten vor 5000 Jahren Sand, Pflanzenasche und Kupfer, um das erste synthetische blaue Pigment zu erzeugen. Im 19. Jahrhundert wetteiferten Chemiker darin, ein synthetisches Ultramarin herzustellen. So gab die BASF 18 Millionen Goldmark aus - mehr als das Unternehmen damals wert war, um Indigo zu synthetisieren, einen tiefblauen Farbstoff aus Pflanzen. Dieses Blau wurde zu einem der gefragtesten Produkte der chemischen Industrie.
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Dennoch sind blaue Pigmente immer noch selten. Die meisten Blautöne der Natur bestehen nicht aus Pigmenten, die der Mensch verwenden kann. Schmetterlinge oder Vögel wirken nur deshalb blau, weil ihre Schuppen oder Federn Nanostrukturen aufweisen, die Licht auf eine bestimmte Weise reflektieren. Sie filtern alle Wellenlängen außer den blauen aus.
Um blau zu erscheinen, muss ein Farbstoff oder ein Pigment rotes Licht absorbieren. Das ist normalerweise der Fall, wenn rote Photonen Elektronen im Pigmentmolekül auf das nächste Energieniveau anheben. Da rotes Licht die niedrigste Energie aller sichtbaren Wellenlängen aufweist, müssen diese beiden Energieniveaus sehr nahe beieinanderliegen. Solche Energiesprossen sind jedoch nur in komplizierten Molekülen zu finden, die wiederum für Organismen nur schwer herzustellen sind.
Pflanzen haben viele unterschiedliche Pigmente entwickelt. Chlorophyll macht Blätter grün; Carotinoide färben Karotten orange, Tomaten rot und Mais gelb; Betalaine produzieren die Farbe der Roten Beete. Aber nur eine Pigmentklasse kann Blau produzieren: die Anthocyane. (Das Wort bedeutet wörtlich „blaue Blume“.) Und selbst die meisten Anthocyane sind nicht blau, sondern rot, weil sie blaues Licht absorbieren. Erst wenn sich diese Moleküle mit weiteren chemischen Gruppen verbinden, können sie rotes Licht absorbieren.
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Auch bei Mineralien ist Blau ein Sonderfall. Subramanian entdeckte, dass die Farbe von YInMn durch ein Mangan-Ion erzeugt wird, das von fünf Sauerstoffatomen umgeben ist. Es sieht aus wie zwei aneinandergeklebte dreiseitige Pyramiden. Eine solche Geometrie findet sich selten in natürlichen Mineralien.
Selbst heute ist es schwierig, neue blaue Materialien von Grund auf zu entwerfen. „Es muss so viel Chemie zusammenkommen“, sagt Subramanian. Kleine Änderungen in der Anordnung benachbarter Atome können die Energieniveaus der Elektronen und damit die Farbe verändern, die es absorbieren kann. Das Rot der Rubine und das Grün der Smaragde stammen beide von Chromionen, die von sechs Sauerstoffatomen umgeben sind. Andere Atome in den beiden Steinen verursachen den Farbunterschied. Solche Effekte sind kaum vorherzusagen, sagt Subramanian: „Wenn Rubine und Smaragde in der Natur nicht existierten, würde niemand wissen, wie man sie erzeugt.“
Aber Wissenschaftler haben die Jagd nach einem neuen Blau nicht aufgegeben und setzen ihre jahrhundertealte Suche mit Werkzeugen des 21. Jahrhunderts fort. Obwohl die Entdeckung von Subramanian zufällig erfolgte, setzen andere Forscher auf die Instrumente der Physik, Chemie oder Genetik.
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Bild 3: Art Media/Print Collector/Getty Images;
CharlesJSharp/CC-BY-SA-4.0;
Jan Vermeer/Mauritshuis/The Hague/Bridgeman Images;
© British Library Board/Granger/Two Pence Post Office Mauritius 

Referenzen:

[1] Das Blaue Wunder, Süddeutsche Zeitung, Wochenendausgabe, Kapitel „Wissen“, 06. / 07 Juli 2019

[2] In Search of Blue, Von Kai Kupferschmidt, Science Magazine veröffentlicht von AAAS, 02. Mai 2019, https://www.aaas.org/

[3] Blau - Reise durch faszinierende Farbe, Kai Kupferschmidt
https://www.amazon.de/Blau-Reise-durch-faszinierende-Farbe/dp/3455006396

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